Wie die EU schwere Nutzfahrzeuge dekarbonisieren kann
Die EU hat es geschafft, die Treibhausgasemissionen in jedem Sektor zu senken - mit einer Ausnahme. Die verkehrsbedingten Emissionen machen etwa ein Viertel der gesamten Treibhausgasemissionen in der EU aus, und sie steigen weiter an1. Und während der viel diskutierte Europäische Green Deal große Fortschritte bei der Senkung der Emissionen von Autos, Schifffahrt und Luftfahrt gemacht hat, ist das Segment des schweren Straßenverkehrs noch nicht auf eine Netto-Null-Zukunft ausgerichtet.
Die gute Nachricht ist, dass uns Instrumente zur Verfügung stehen, um diese klimaschädlichen und gesundheitsschädlichen Emissionen zu bekämpfen. Im Gegensatz zu vielen anderen emissionsverursachenden Bereichen, die erhebliche Innovationen und Technologien benötigen, die noch nicht kommerziell verfügbar sind, bedarf es im Lkw-Verkehr keines wissenschaftlichen Durchbruchs, um die Emissionen zu reduzieren. Emissionsfreie Fahrzeuge mit batterieelektrischer Technologie oder Brennstoffzellen gibt es bereits und sie sind einsatzbereit. Was fehlt, ist ein deutliches Signal an alle Marktteilnehmer, damit sie wissen, in welchem Tempo sie investieren, produzieren, bauen und kaufen sollen.
Die laufende Überarbeitung derCO2-Emissionsnormen für neue schwere Nutzfahrzeuge ist eine wichtige Gelegenheit, ein solches Signal im EU-Recht zu verankern. Clean Air Task Force hat drei zentrale Empfehlungen, wie eine starke Regelung aussehen könnte:
- Fettdruck CO2 Emissionsreduktionsziele
Der wichtigste Mechanismus ist die erforderliche Reduzierung derCO2-Emissionen, die den Ausschlag für diese Gesetzgebung geben wird. Die EU hat sich in ihrer Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität bereits verpflichtet, die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen bis 2050 um 90 % zu senken. Ohne den Rückgriff auf noch nicht ausgereifte Lösungen wie den Kohlenstoffabbau, der an anderer Stelle dringend benötigt wird, hat der schwere Straßenverkehr nur einen sehr begrenzten Handlungsspielraum. Prognosen2 zeigen nämlich, dass dieses Segment seine Emissionen bis 2038 vollständig reduzieren muss, damit die EU ihr eigenes Klimagesetz einhalten kann. Das Ziel einer 100-prozentigen Reduzierung derCO2-Emissionen für neue schwere Lastkraftwagen bis 2035 und ein Zwischenziel für 2030 werden das Segment auf einen Dekarbonisierungspfad bringen, der mit den übergreifenden Verpflichtungen Europas in Einklang steht.
- Keine zusätzlichen Anreize für "schadstoffarme" Fahrzeuge
In einer Welt, in der es *Null*-Emissionsfahrzeuge gibt, gibt es keinen zwingenden Grund, weiterhin zusätzliche Anreize für emissionsarme Fahrzeuge zu schaffen, die ihre Emissionen nur um die Hälfte reduzieren müssen, um in Frage zu kommen. Die Schaffung von Anreizen für den Einsatz von Fahrzeugen mit schlechterer Leistung wird dem eigentlichen Ziel - der vollständigen Dekarbonisierung des Sektors - zuwiderlaufen. Der so genannte Null- und Niedrig-Emissions-Faktor sollte daher nicht mehr auf emissionsarme Fahrzeuge angewandt werden und ab 2030, wie von der Kommission vorgeschlagen, vollständig abgeschafft werden.
- Keine Schlupflöcher für Technologien, die die Standards nicht erfüllen können
Die Kommission hat die Regulierung derCO2-Emissionsnormen als technologieneutralen Anreiz für den Sektor der schweren Nutzfahrzeuge konzipiert, um schrittweise von fossilen Kraftstoffen auf klimaschonendere Antriebssysteme umzusteigen. Letztlich werden nur Fahrzeuge, die keineCO2-Emissionen aus dem Auspuff ausstoßen, mit den hohen Standards vereinbar sein. Dementsprechend gibt es keinen Platz für Schlupflöcher wie den so genannten "Kohlenstoff-Korrekturfaktor", der von einigen Mitgliedern des Europäischen Parlaments in ihren Änderungsanträgen vorgeschlagen wurde und der die Abhängigkeit von Lkw-Technologien, die keineCO2-Emissionen aus dem Auspuff liefern können, aufrechterhält. Die Kommission kam in ihrer Folgenabschätzung3 zu dem Schluss, dass jegliche Form von Kraftstoffförderungsmechanismen in dieser Verordnung nicht kosteneffizient wäre, sondern vielmehr die Wirksamkeit untergraben, die Zuständigkeiten der verschiedenen Beteiligten verwischen und die Komplexität und den Verwaltungsaufwand erhöhen würde. Auch die Mehrheit der Fahrzeughersteller lehnt die Einführung solcher Mechanismen ab4. Die Anrechnung von Emissionen über den gesamten Lebenszyklus ist von entscheidender Bedeutung, sollte aber in einer strengen, umfassenden Weise in einer separaten, zweckmäßigen Rechtsvorschrift erfolgen.
Entscheidend ist, dass viele Regionen der Welt inzwischen erkannt haben, dass es sich lohnt, saubere Technologien zu produzieren und zu verkaufen. Die USA haben durch den Inflation Reduction Act zig Milliarden Dollar zur Verfügung, die sie für verschiedene saubere Technologien ausgeben können, die für den Lkw-Sektor relevant sind, und China setzt sich für eine globale Expansion seiner aufstrebenden Elektrofahrzeugproduktion ein. Aber es geht nicht nur um staatliche Gelder - regulatorische Sicherheit hilft der Branche, ihre Investitionen zu planen, Innovationen zu entwickeln und Werte zu schaffen. Der US-Bundesstaat Kalifornien hat in diesem Jahr für Schlagzeilen gesorgt, weil er als erster Staat der Welt den Herstellern vorschreibt, ab 2036 nur noch emissionsfreie Fahrzeuge an bestimmte Lkw-Flotten zu verkaufen, und damit eine klare Führungsrolle in diesem Bereich übernommen hat.
Die Automobilindustrie insgesamt erwirtschaftet über 7 % des BIP der EU und bietet 14,6 Millionen Europäern Arbeit5. Die EU-Hersteller produzieren zwar weniger schwere Nutzfahrzeuge als Pkw (etwa eine halbe Million Einheiten pro Jahr), doch ist die Wertschöpfung pro produzierter Einheit im Segment der schweren Nutzfahrzeuge deutlich höher6. Analysen zeigen, dass die EU bis zum Jahr 2035 bis zu 11 % des Marktes an China und die USA verlieren könnte, wenn sie die Umstellung dieses Segments auf umweltfreundliche Technologien nicht beschleunigt7. Umgekehrt würde die Verabschiedung der oben vorgeschlagenen Normen der EU-Wirtschaft ein zusätzliches BIP von 27 Mrd. EUR und 23 000 Arbeitsplätze bescheren.
Die EU kann und muss diese wichtige Gelegenheit nutzen, um zu zeigen, dass Europa einen Anspruch auf den sauberen Automobilmarkt der Zukunft erheben wird.
1EuropäischeUmweltagentur, 2023. Verkehr und Mobilität. https://www.eea.europa.eu/en/topics/in-depth/transport-and-mobility
2 Mulholland et al., 2022. DieCO2-Normen, die für Lkw und Busse erforderlich sind, damit Europa seine Klimaziele erreichen kann. https://theicct.org/wp-content/uploads/2022/03/hdv-co2standards-recs-wp-mar22.pdf
3 Europäische Kommission, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Zusammenfassung des Berichts über die Folgenabschätzung, der dem Dokument Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/1242, 2023, beigefügt ist. https://climate.ec.europa.eu/system/files/2023-02/policy_transport_hdv_20230214_impact_assessment_en_0.pdf
4EuropäischeKommission, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Zusammenfassung des Berichts über die Folgenabschätzung, der dem Dokument Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/1242, 2023 beigefügt ist. https://climate.ec.europa.eu/system/files/2023-02/policy_transport_hdv_20230214_impact_assessment_en_0.pdf
5 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/1242, 2023. https://climate.ec.europa.eu/system/files/2023-02/policy_transport_hdv_20230214_proposal_en_0.pdf
6 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/1242, 2023. https://climate.ec.europa.eu/system/files/2023-02/policy_transport_hdv_20230214_proposal_en_0.pdf
7 Boston Consulting Group, 2023. Impact Assessment of the Transition to Zero-Emission Trucks in Europe. https://www.transportenvironment.org/wp-content/uploads/2023/09/2023_09_BCG_Impact_assessment_transition_ZE_trucks_Europe.pdf